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Samstag, 20. April 2013

Die Entwicklung einer sozial und kulturell kompetenten Persönlichkeit verläuft nicht durch Selbsterziehung!



'Unter den Talaren
Aufbruch des Digitalen'
Alte Ängste und neue Ängste? 
Be- und/oder Entschleunigung in unserer verunsicherten dynamischen Welt

Was trägt die Psychoanalyse hierzu bei?
Prof. Dr. disc. pol. Jürgen Körner, emer. Professor für Sozialpädagogik der FU Berlin, Gründungspräsident d. IPU Berlin, sprach bei den Lindauer Psychotherapiewochen am 18.04.2013 zum Thema: 'Die neuen Ängste der Psychotherapeuten.'
Wovor soll sich der Psychoanalytiker fürchten?
Wird die Psychoanalyse als kritische aufklärerische Wissenschaft mit der spätbürgerlichen Gesellschaft verschwinden durch die Reform des Psychotherapeuten-Gesetzes?
Die Psychoanalyse ist die Anwältin des kränkbaren Menschen und der Ethik. 
Am 09.11.1967 - Benno Ohnesorg (3) war wenige Wochen zuvor erschossen werden - gingen Studenten gegen die Hochschule auf die Straße:
'Unter den Talaren

Muff von 1000 Jahren'

Die Studenten splitterten sich bald darauf in politische Gruppierungen auf (Spartacus, DKP usw.). Die Aufarbeitung der Vergangenheit war das Ziel. Empörung über autoritäre Ansichten bestand. Die Studenten mussten innerlich ruhig bleiben, obwohl (und weil?) es noch Professoren mit rassistischen Einstellungen gab. Latente antisemitische Tendenzen waren eruierbar!
Psychoanalyse - werteorientiert -  also für eine kritische Gesellschaft?
Einige der Studenten gingen in die Politik und andere wurden Psychoanalytiker.
Psychoanalyse in einer kritischen Gesellschaft?
Was will der Psychoanalytiker? 
Wie ist seine Vorgehensweise?
Ein Manual als Orientierung für die psychoanalytische Vorgehensweise?
Ja, aber auch der Psychoanalytiker wächst mit seiner Erfahrung während psychoanalytischer Interventionen. Das empathisch mitgefühlte Leid in den therapeutischen Sitzungen ist der beste Lehrmeister.  
Die von Psychoanalytikern in den Sechzigern eingebrachten Ideen sind heute nicht mehr anstößig. Damals wurden diese Ideen aufgesogen. Gegen Vorurteile wurde angegangen. Psychoanalytisch gesehen liegen Vorurteile "nicht auf der Zunge sondern im Kopf." Es darf ausgedrückt werden, was gefühlt wird. Das Problem besteht auch nicht im Gebrauch von sogenannten N-Worten. Es geht nicht an, einen kriminellen Jugendlichen, um ihn nicht zu verletzen, als 'verhaltensoriginellen Jugendlichen' zu bezeichnen.
Liebe LeserInnen, haben auch Sie weiterhin keine Angst, vor Feindseligkeiten, wenn Sie die Dinge beim Namen nennen. Zeigen Sie Unterschiede auf! Schon immer ist es ein Anliegen der PsychoanalytikerInnen, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Nach der Kritik an ungerechtfertigten Autoritäten und repressiver Erziehung, die das Subjekt aus inneren Zwängen und Abhängigkeiten befreit, schwang das Pendel in die andere Richtung. Nach der antiautoritären Erziehung in den Siebzigern kommt da nun die Tendenz zu keiner Erziehung?
Aber was dann?


Die sozial und kulturell kompetente Persönlichkeit entwickelt sich nicht durch Selbsterziehung!
Wie führt man pädagogisch diese Kompetenz herbei? 
"Erziehung heißt, dass ich sie plane!"
Bildung heißt, ich stelle Material zur Verfügung und gebe dem Jugendlichen die Möglichkeit, dieses individuell nach seinen Bedürfnissen zu benützen und weiterzugestalten.
Und was dann? Wird sich die sozial und kulturell zu entwickelnde Persönlichkeit später selbst lebenslänglich weitergestalten und weitererziehen?
Digital? Online und/oder offline? Ich meine, dass sich  bereits ein sehr spannender Bildungs-Prozess im Bildungsschneckentempo anbahnt -   schneckisch gemächlich und mit beträchtlichen snail oil pitches, abgesehen von einigen durch Schwarmintelligenz verursachten geistreichen, vulkanischen Online-Bildungseruptionen (6, 7).
Und so geht es: Die digitalen Bildungsmacher werden privat, in Schulen und Hochschulen  punktgenaue  Materialien bei Social Media einstellen. Sie müssen zur Bildung verführen. Es suche dann Bildung, wer Freude daran hat -  in ferner Zukunft. Bildung für jeden, den Schüler, Studenten, die Nerds, Mr.X.   

Geduld, liebe Leser. Es wird leider etwas dauern, denn wer - vor allem welche Fakultät an den  deutschsprachigen Hochschulen -  kennt  schon Social Media? Da sieht es erschreckend düster aus!  Weitreichende Bildung für alle ist Wunschdenken, meine Damen und Herren von der digitalen Bildungsmacherei. 
Wem sind MOOCs ('massive open online courses', Link 7) ein Begriff und  ganz zu schweigen von COER (6) usw.....
Fast braucht es  einen Sprachkurs für 'Internetisch'.
Deutschsprachige träumen noch im deutschen-offline-Schlafwagen. Am ehesten würden sie das Fach 'Internistisch' wählen, dann versteht der Patient den Arzt, falls dieser nicht demnächst auf Digitalisierung mit Herzmitteln auf 'Digitalisch' - d. h. im Web 2.0 -  besteht. 

Der digitale Anschlusszug könnte emotionale Bildung heißen. Der digitale Bildungsreisende möchte vertrauen und adäquate Emotionalität erleben. Empathisch eindeutige Kommunikation wünscht  der Reisende (5). Der Reisende möchte wissen, in welche Richtung die Reise verläuft und wer mitfährt.

Aber, wenn der Schaffner in der digitalen Emotionslandschaft nicht heimisch ist und   die Tools nicht beherrscht, dann  wird es womöglich kalt im digitalen Bummel-Zug. Bei der Fahrt durch die  deutsche digitale Schullandschaft dürfte mit Verletzungsgefahr und Verspätungen zu rechnen sein oder der Zug bzw. der Reisende entgleisen. 
Was für eine chaotische, psychisch  gekränkte und dennoch digital  kommunikativ zu bildende  deutsche Schul-Landschaft steht uns bevor, wenn bei digitaler  Bildung der  Reisenden zugleich  Schaffner wird?   

Falls Sie die mehrdeutigen Kommentare in den Social Media-Kanälen analysieren, beginnen Sie am Erfolg einer digitalen Bildung zu zweifeln.     Wenn die für die digitale Bildung Verantwortlichen nur  zögerlich  auf das  'emotionale Trittbrett der psychologischen und psychoanalytischen Weiterbildung aufspringen, wird der Online-Schaden größer als der durch die kritisierten Offline-Schulen.

Es gibt bereits hervorragende Psychoanalytiker-Philosophen und -Theologen und Psychoanalytiker-Lehrer. Die kassenärztliche Anerkennung sollte ihnen im neuen Psychotherapeuten-Gesetz nicht verwehrt werden. Juristen wären ebenfalls als Psychoanalytiker denkbar. 

Ärzte und Psychoanalytiker  schätzen den Wissensvorsprung und den Kompetenz-Erwerb durch die Teilnahme an den Lindauer Psychotherapiewochen. Eine  Einbindung von  'digitalen Fachautoritäten' wäre für alle eine Bereicherung. Die Bewältigung der neuen digitalen Ängste bedarf fachkompetenter digitaler Beratung. Digitale Bildung  über soziale Medien-Kanäle hinweg könnte gedeihen, wenn die verschiedenen Fachgruppen sich austauschten. 
   
Bei den Lindauer Psychotherapie-Wochen spürte ich noch wenig von Social Media. Die Lindauer Zeitung, ja, von dort konsumierten morgens beim Frühstück  Psychologen, Pädagogen, Philosophen und  weitere um Ängste besorgte BerufsinhaberInnen  die Berichte zu den Vorträgen. Äußerst selten traf ich  Social Media-Interessierte. Ein einziges iPad sah ich während der Woche - meines. 

Ich male zu schwarz? Richtig. Dann die gute Nachricht.  Kurz bevor ich in den Zug einstieg, kaufte ich noch rasch Bert T. te Wildts 'Chancen und Risiken virtueller Welten für Psychohygiene und Psychotherapie' - ein Live-Mitschnitt während des ebenso betitelten Seminars (sechs CDs) in Lindau. Vielleicht doch ein Licht am Horizont für Social Media? Sehen etwa jetzt Sie schwarz?    

Sie hoffen auf erfrischend Neues an den Hochschulen in dynamischem, dem digitalen Zeitalter entsprechenden Tempo?

Ach, wie schön wäre wohl:  

'Unter den Talaren
Aufbruch des Digitalen'   
Und wie werden sich die Methoden der Psychoanalyse im Web 2.0  weiterentwickeln?
Werden sich narrative Formen des vertrauenswürdigen Austausches und der Problembewältigung bei Social Media in einem geschützten Rahmen durchsetzen können?  
Psychoanalyse, Psychologie, Pädagogik, Philosophie und die Theologie – sie alle sind wertorientiert im Gegensatz zu zweckorientierten Fächern wie Mathematik, Physik, Medizin und Biologie.
Hoffentlich bleibt es bei dieser Verpflichtung zu Werten bei den PPPPT-Gutmenschen.  
Beim nachmittäglichen Analysieren des Filmes 'Up in the Air' erlebte ich eine Thematik  bei der sich die Psychologie - zumindest bei der Kündigung von Arbeitnehmern - zweckgerichtet vor den Karren von Unternehmensinteressen spannen ließ.
Ich bin dafür, dass Versicherungen für gekündigte Arbeitnehmer eingeführt werden. Sie auch?

PS: Ich berichte über die Lindauer Psychotherapiewochen  ohne zweckgerichtete Interessen. 
Psychoanalytiker sind - wie erwähnt - ethischen Werten verpflichtet und  nicht Erfüllungsgehilfen eines Systems. Sie dienen nicht dem Zweck, Menschen an ein Gesellschaftssystem anzupassen.  
Also denken Sie bitte nicht, dass ich  Ihnen hier Flugblätter verteile, wie an einer Universität und die Sonntagspredigt will ich auch nicht halten:
Wenn ich in den Vorträgen sitze und live mitschreibe, dann brennt mir als Psychoanalytikerin einiges auf der Zunge. Das muss heraus - schnell - noch bevor ein Vortrag beendet ist. 
Zielgerichtete Interessen? Ja schon! Ich möchte Ihre Meinung hören und von Ihnen lernen.

Quellen:
(1) Jürgen Körner:
'Psychoanalytische Sozialpädagogik', Eine Einführung in vier Fallgeschichten
(2) Sarah Lehnert über Körner,Jürgen/Müller,Burkhard: Schuldbewusstsein und reale Schuld
(3) Benno Ohnesorg 
(4) Deutschlands Kinder sind unglücklich / UNICEF-Studie: junge Menschen in Industrieländern
(5) Tweets, die Angst machen - Handeln oder nicht? 
(5) http://www.netleben.de/tweets-die-angst-machen/
(6) COER
(6) http://www.coer13.de/news.html
(7) MOOC
(7) http://howtomooc.org/

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