'Unter den Talaren
Aufbruch des Digitalen'
Aufbruch des Digitalen'
Alte Ängste und neue Ängste?
Be- und/oder Entschleunigung in unserer
verunsicherten dynamischen Welt
Was trägt die Psychoanalyse hierzu bei?
Prof. Dr. disc. pol.
Jürgen Körner, emer. Professor für Sozialpädagogik der FU Berlin,
Gründungspräsident d. IPU Berlin, sprach bei den Lindauer Psychotherapiewochen
am 18.04.2013 zum Thema: 'Die neuen Ängste der Psychotherapeuten.'
Wovor soll sich der
Psychoanalytiker fürchten?
Wird die Psychoanalyse
als kritische aufklärerische Wissenschaft mit der spätbürgerlichen Gesellschaft
verschwinden durch die Reform des Psychotherapeuten-Gesetzes?
Die Psychoanalyse ist die Anwältin des
kränkbaren Menschen und der Ethik.
Am 09.11.1967 - Benno Ohnesorg (3) war wenige Wochen zuvor erschossen werden - gingen Studenten gegen die
Hochschule auf die Straße:
'Unter den Talaren
Muff von 1000 Jahren'
Die Studenten
splitterten sich bald darauf in politische Gruppierungen auf (Spartacus, DKP
usw.). Die Aufarbeitung der Vergangenheit war das Ziel. Empörung über
autoritäre Ansichten bestand. Die Studenten mussten innerlich ruhig bleiben,
obwohl (und weil?) es noch Professoren mit rassistischen Einstellungen gab.
Latente antisemitische Tendenzen waren eruierbar!
Psychoanalyse - werteorientiert - also für eine kritische
Gesellschaft?
Einige der Studenten
gingen in die Politik und andere wurden Psychoanalytiker.
Psychoanalyse in einer kritischen Gesellschaft?
Was will der Psychoanalytiker?
Wie ist seine Vorgehensweise?
Ein Manual als
Orientierung für die psychoanalytische Vorgehensweise?
Ja, aber auch der
Psychoanalytiker wächst mit seiner Erfahrung während psychoanalytischer
Interventionen. Das empathisch mitgefühlte Leid in den therapeutischen
Sitzungen ist der beste Lehrmeister.
Die von
Psychoanalytikern in den Sechzigern eingebrachten Ideen sind heute nicht mehr
anstößig. Damals wurden diese Ideen aufgesogen. Gegen Vorurteile wurde
angegangen. Psychoanalytisch gesehen
liegen Vorurteile "nicht auf der Zunge sondern im Kopf." Es darf
ausgedrückt werden, was gefühlt wird. Das Problem besteht auch nicht im
Gebrauch von sogenannten N-Worten. Es geht nicht an, einen kriminellen
Jugendlichen, um ihn nicht zu verletzen, als 'verhaltensoriginellen
Jugendlichen' zu bezeichnen.
Liebe LeserInnen,
haben auch Sie weiterhin keine Angst, vor Feindseligkeiten, wenn Sie die Dinge
beim Namen nennen. Zeigen Sie Unterschiede auf! Schon immer ist es ein Anliegen
der PsychoanalytikerInnen, den Dingen auf den Grund zu gehen.
Nach der Kritik an
ungerechtfertigten Autoritäten und repressiver Erziehung, die das Subjekt aus
inneren Zwängen und Abhängigkeiten befreit, schwang das Pendel in die andere
Richtung. Nach der antiautoritären Erziehung in den Siebzigern kommt da nun die
Tendenz zu keiner Erziehung?
Aber was dann?
Die sozial und kulturell kompetente Persönlichkeit entwickelt sich nicht durch Selbsterziehung!
Wie führt man pädagogisch diese Kompetenz herbei?
"Erziehung heißt, dass ich sie
plane!"
Bildung heißt, ich stelle Material zur Verfügung
und gebe dem Jugendlichen die Möglichkeit, dieses individuell nach seinen
Bedürfnissen zu benützen und weiterzugestalten.
Und was dann? Wird
sich die sozial und kulturell zu entwickelnde Persönlichkeit später selbst
lebenslänglich weitergestalten und weitererziehen?
Digital? Online und/oder offline? Ich meine, dass sich bereits ein sehr spannender Bildungs-Prozess im Bildungsschneckentempo anbahnt - schneckisch gemächlich und mit beträchtlichen snail oil pitches, abgesehen von einigen durch Schwarmintelligenz verursachten geistreichen, vulkanischen Online-Bildungseruptionen (6, 7).
Und so geht es: Die digitalen Bildungsmacher werden privat, in Schulen und Hochschulen punktgenaue Materialien bei Social Media einstellen. Sie müssen zur Bildung verführen. Es suche dann Bildung, wer Freude daran hat - in ferner Zukunft. Bildung für jeden, den Schüler, Studenten, die Nerds, Mr.X.
Und so geht es: Die digitalen Bildungsmacher werden privat, in Schulen und Hochschulen punktgenaue Materialien bei Social Media einstellen. Sie müssen zur Bildung verführen. Es suche dann Bildung, wer Freude daran hat - in ferner Zukunft. Bildung für jeden, den Schüler, Studenten, die Nerds, Mr.X.
Geduld, liebe Leser. Es wird leider etwas dauern,
denn wer - vor allem welche Fakultät an den deutschsprachigen Hochschulen - kennt schon Social Media? Da sieht es
erschreckend düster aus! Weitreichende Bildung für alle ist Wunschdenken, meine Damen und Herren von der digitalen Bildungsmacherei.
Wem sind MOOCs ('massive open online courses', Link 7) ein Begriff und ganz zu schweigen von COER (6) usw.....
Fast braucht es einen Sprachkurs für 'Internetisch'.
Deutschsprachige träumen noch im deutschen-offline-Schlafwagen. Am ehesten würden sie das Fach 'Internistisch' wählen, dann versteht der Patient den Arzt, falls dieser nicht demnächst auf Digitalisierung mit Herzmitteln auf 'Digitalisch' - d. h. im Web 2.0 - besteht.
Der digitale Anschlusszug könnte emotionale Bildung heißen. Der digitale Bildungsreisende möchte vertrauen und adäquate Emotionalität erleben. Empathisch eindeutige Kommunikation wünscht der Reisende (5). Der Reisende möchte wissen, in welche Richtung die Reise verläuft und wer mitfährt.
Aber, wenn der Schaffner in der digitalen Emotionslandschaft nicht heimisch ist und die Tools nicht beherrscht, dann wird es womöglich kalt im digitalen Bummel-Zug. Bei der Fahrt durch die deutsche digitale Schullandschaft dürfte mit Verletzungsgefahr und Verspätungen zu rechnen sein oder der Zug bzw. der Reisende entgleisen.
Was für eine chaotische, psychisch gekränkte und dennoch digital kommunikativ zu bildende deutsche Schul-Landschaft steht uns bevor, wenn bei digitaler Bildung der Reisenden zugleich Schaffner wird?
Falls Sie die mehrdeutigen Kommentare in den Social Media-Kanälen analysieren, beginnen Sie am Erfolg einer digitalen Bildung zu zweifeln. Wenn die für die digitale Bildung Verantwortlichen nur zögerlich auf das 'emotionale Trittbrett der psychologischen und psychoanalytischen Weiterbildung aufspringen, wird der Online-Schaden größer als der durch die kritisierten Offline-Schulen.
Es gibt bereits hervorragende Psychoanalytiker-Philosophen und -Theologen und Psychoanalytiker-Lehrer. Die kassenärztliche Anerkennung sollte ihnen im neuen Psychotherapeuten-Gesetz nicht verwehrt werden. Juristen wären ebenfalls als Psychoanalytiker denkbar.
Ärzte und Psychoanalytiker schätzen den Wissensvorsprung und den Kompetenz-Erwerb durch die Teilnahme an den Lindauer Psychotherapiewochen. Eine Einbindung von 'digitalen Fachautoritäten' wäre für alle eine Bereicherung. Die Bewältigung der neuen digitalen Ängste bedarf fachkompetenter digitaler Beratung. Digitale Bildung über soziale Medien-Kanäle hinweg könnte gedeihen, wenn die verschiedenen Fachgruppen sich austauschten.
Bei den Lindauer
Psychotherapie-Wochen spürte ich noch wenig von Social Media. Die Lindauer
Zeitung, ja, von dort konsumierten morgens beim Frühstück Psychologen, Pädagogen, Philosophen und weitere um Ängste besorgte BerufsinhaberInnen die Berichte zu den Vorträgen. Äußerst selten traf ich Social Media-Interessierte. Ein einziges iPad sah ich während der Woche - meines.
Ich male zu schwarz?
Richtig. Dann die gute Nachricht. Kurz bevor ich in den Zug einstieg,
kaufte ich noch rasch Bert T. te Wildts 'Chancen
und Risiken virtueller Welten für Psychohygiene und Psychotherapie' - ein
Live-Mitschnitt während des ebenso betitelten Seminars (sechs CDs) in Lindau.
Vielleicht doch ein Licht am Horizont für Social Media? Sehen etwa jetzt Sie
schwarz?
Sie hoffen auf
erfrischend Neues an den Hochschulen in dynamischem, dem digitalen Zeitalter
entsprechenden Tempo?
Ach, wie schön wäre wohl:
'Unter den Talaren
Aufbruch des Digitalen'
Und wie werden sich
die Methoden der Psychoanalyse im Web 2.0 weiterentwickeln?
Werden sich narrative
Formen des vertrauenswürdigen Austausches und der Problembewältigung bei Social
Media in einem geschützten Rahmen durchsetzen können?
Psychoanalyse, Psychologie, Pädagogik, Philosophie und die Theologie – sie alle sind
wertorientiert im Gegensatz zu zweckorientierten Fächern wie Mathematik,
Physik, Medizin und Biologie.
Hoffentlich bleibt es bei dieser Verpflichtung zu Werten bei den PPPPT-Gutmenschen.
Beim nachmittäglichen
Analysieren des Filmes 'Up in the Air' erlebte ich eine Thematik bei der sich
die Psychologie - zumindest bei der Kündigung von Arbeitnehmern -
zweckgerichtet vor den Karren von Unternehmensinteressen spannen ließ.
Ich bin dafür, dass Versicherungen
für gekündigte Arbeitnehmer eingeführt werden. Sie auch?
PS: Ich berichte über die Lindauer Psychotherapiewochen ohne zweckgerichtete Interessen.
Psychoanalytiker sind - wie erwähnt - ethischen Werten verpflichtet und nicht Erfüllungsgehilfen eines Systems. Sie dienen nicht dem Zweck, Menschen an ein Gesellschaftssystem anzupassen.
Also denken Sie bitte
nicht, dass ich Ihnen hier Flugblätter
verteile, wie an einer Universität und die Sonntagspredigt will ich auch nicht
halten:
Wenn ich in den
Vorträgen sitze und live mitschreibe, dann brennt mir als Psychoanalytikerin
einiges auf der Zunge. Das muss heraus - schnell - noch bevor ein Vortrag
beendet ist.
Zielgerichtete Interessen? Ja schon! Ich möchte Ihre Meinung hören und
von Ihnen lernen.
Quellen:
(1)
Jürgen Körner:
'Psychoanalytische
Sozialpädagogik', Eine Einführung in vier Fallgeschichten
(2) Sarah Lehnert über Körner,Jürgen/Müller,Burkhard:
Schuldbewusstsein und reale Schuld
(3) Benno Ohnesorg
(4) Deutschlands Kinder sind unglücklich / UNICEF-Studie: junge Menschen in Industrieländern
(5) Tweets, die Angst machen - Handeln oder nicht?
(5) http://www.netleben.de/tweets-die-angst-machen/
(6) COER
(6) http://www.coer13.de/news.html
(7) MOOC
(7) http://howtomooc.org/
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#Lindau_Psychotherapiewochen #Ängste #Psychotherapie*(6) COER
(6) http://www.coer13.de/news.html
(7) MOOC
(7) http://howtomooc.org/
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http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/